»Brauchen einen Plan«: Für den CSU- Verteidigungsexperten kann eine wirksame Militärhilfe für die Ukraine nicht ohne langfristige Strategie funktionieren

FLORIAN HAHN: Für den CSU- Verteidigungsexperten kann eine wirksame Militärhilfe für die Ukraine nicht ohne langfristige Strategie funktionieren:

Herr Hahn, die Mängelliste der Bun- deswehr ist lang – kaum Personal, kaum Material, veraltete Infrastruktur. Was er- warten Sie vom neuen Verteidigungsmi- nister Boris Pistorius (SPD) mit Blick auf die von Bundeskanzler Scholz ausge- rufene Zeitenwende und das 100 Milliar- den Euro schwere Sondervermögen für die Truppe?

Herr Pistorius muss dringend das Beschaf- fungswesen reformieren, damit die Bun- deswehr endlich die notwendige Ausstat- tung bekommt. Die Initiativen seiner Vor- gängerin haben hier weder zu einer Verein- fachung noch zu einer Beschleunigung ge- führt. Der Minister muss auch dafür sor- gen, dass Deutschland als eine der größten territorialen Streitmächte in Europa wieder sichtbar wird auf internationaler Bühne. Nicht zuletzt brauchen wir einen Ressort- chef, der endlich wichtige Entscheidungen trifft zur Unterstützung der Ukraine, etwa zur Lieferung deutscher Kampfpanzer.

Die Wehrbeauftragte des Bundesta- ges, Eva Högl (SPD), würde das 100-Mil- liarden-Sondervermögen für die Bundes- wehr gern um weitere 200 Milliarden Euro aufstocken. Ist Geldmangel das größte Problem der Truppe?
Nein, das größte Problem ist mangelnde Planbarkeit. Das schließt eine ausreichen- de finanzielle Ausstattung natürlich mit ein. Das Sondervermögen wird nicht viel helfen, wenn nicht gleichzeitig auch der Verteidigungshaushalt mittel- und langfris- tig steigt. Derzeit plant die Ampelregierung aber, den Etat auf dem aktuellen Stand ein- zufrieren. Damit verfehlen wir nicht nur das Nato-Ziel, zwei Prozent der Wirt- schaftsleistung für Verteidigung auszuge- ben. Wir können die mit dem Sonderver- mögen finanzierte neue Ausstattung ir- gendwann auch nicht mehr bewirtschaf- ten, also Instandhalten oder neue Muniti- on kaufen.

Gleichzeitig liefert die Bundesregie- rung seit Kriegsbeginn moderne Waffen- systeme in die Ukraine, darunter bald 40 Marder-Schützenpanzer inklusive Muniti- on. Müsste dieses Material nicht zuerst ersetzt werden?
Alles, was wir aus Bundeswehrmaterial lie- fern, führt zu einer Schwächung unserer Bündnis- und Landesverteidigung. Es ist daher unfassbar, dass trotz der angekündig- ten Zeitenwende verbunden mit dem Be- kenntnis die Bundeswehr zu stärken, die Nachbeschaffung dieses Materials bis heu- te nicht ernsthaft angelaufen ist.

Deutschland hat zum Jahreswechsel auch die Führung der schnellen Nato- Eingreiftruppe VJTF übernommen, die in- nerhalb von 48 bis 72 Stunden einsatzbe- reit sein muss. Es heißt, die Verbände müssten sich teilweise Ausrüstung bei an- deren Einheiten borgen, um die Anforde- rungen der Nato erfüllen zu können. Kann die Bundeswehr diese große Aufga- be derzeit überhaupt stemmen?
Das ist fraglich, wie schon das Desaster um den Puma zeigt. Der Schützenpanzer hätte zum 1. Januar mit in die VJTF-Bereitschaft gehen müssen, aber dann haben Übungen im Dezember erhebliche Mängel gezeigt und der Plan wurde auf Eis gelegt. Offen- bar sind die Soldaten nicht gut genug auf ihrem eigenen Gerät ausgebildet, es hakt bei der Instandsetzung und im Zusam- menspiel mit der Industrie.

Nun soll Deutschland der Ukraine auch noch Leopard-Kampfpanzer schi- cken. Warum ist der Leopard für die Ukraine so wichtig?
Um eine optimale Waffenwirkung zu erzie- len, sollten Kampf- und Schützenpanzer immer zusammen eingesetzt werden. Des- wegen besitzen alle relevanten Armeen der Welt dieses Duo und setzen nicht nur auf  einen Panzertypen. Auch die schiere An- zahl von Systemen macht im Kampf einen Unterschied. Nicht zuletzt hat die Russi- sche Föderation den Winter genutzt, um massenhaft Material und Personal an die Front zu bringen. Alles deutet darauf hin, dass sie im Frühjahr eine große Offensive startet. Experten warnen seit Monaten da- vor, deswegen haben wir als Unionsfrakti- on schon im September 2022 einen Antrag gestellt, endlich Leopard- und Marderpan- zer zu liefern. Die Befassung mit diesem Antrag wurde bis heute aber sechs Mal ver-

© Florian Hahn

schoben. Hätten wir über die Panzerfrage im September entschieden, hätte die In- dustrie das Material rechtzeitig instand set- zen und ausliefern können.

Und nun? Was kann Deutschland in absehbarer Zeit liefern?
Die Industrie verfügt über mehr als 150 Leopard 1-Panzer, von denen immerhin ei- nige innerhalb weniger Wochen verschickt werden können. Bei den Panzern der neu- en Generation, Leopard 2, sieht das schon anders aus, zumal hierfür auch die Ausbildung länger dauert. Aber auch hier könn- ten wir aus Bundeswehrbeständen bald zehn bis 20 Stück in die Ukraine schicken. Zusammen mit Leopard-Lieferungen ande- rer europäischer Länder könnte eine Grö- ßenordnung erreicht werden, die der Ukraine tatsächlich helfen würde.

Scholz und auch viele Bürger hierzu- lande befürchten, dass der Export von Kampfpanzern westlicher Produktion zu einer weiteren Eskalation des Krieges durch Russland führen könnte. Steht ihr Nutzen in angemessenem Verhältnis zum potenziellen Risiko?
Mir ist die Argumentation von Scholz völ- lig schleierhaft. Seine monatelange Zurück- haltung hat aus meiner Sicht nur Zeit und Leben gekostet. Was die Russische Föderati- on in der Ukraine macht, ist bereits maxi- male Eskalation. Sie hat ein Land überfal- len und tötet jeden Tag Ukrainerinnen und Ukrainer, die ihre Heimat verteidigen. Nicht nur unsere Bündnispartner, auch vie- le in der eigenen Koalition, verstehen nicht, warum Scholz immer nur auf Druck nachgibt und die deutsche Hilfe immer nur tröpfchenweise in der Ukraine an- kommt. Der Kanzler scheint in einer Art Ideologieschleife hängengeblieben zu sein.

Pistorius zufolge ist Deutschland schon jetzt „indirekt“ am Krieg in der Ukraine beteiligt. Sehen Sie das auch so?Das würde ich so nicht formulieren. Die Bundesrepublik Deutschland unterstützt die Ukraine in ihrem Freiheitskampf und könnte noch viel mehr tun, ohne sich da- bei tatsächlich am Krieg zu beteiligen.

Braucht die Bundesregierung eine langfristige Strategie für die Militärhil- fe?
Mit Blick auf die Ukraine auf jeden Fall. Wir sehen am Beispiel des Flugabwehrpan- zers Gepard, dass allein die Lieferung eines Systems nicht ausreichend ist. Es muss auch sichergestellt werden, dass es dauer- haft mit Munition versorgt werden kann. Der Gepard hat praktisch keine Munition mehr – und der Schweizer Hersteller ver- weigert aus rechtlichen Gründen den Nachschub. Das zeigt: Die Dinge müssen ganzheitlich gedacht werden, aber auch dafür fehlt der Bundesregierung ein Plan.

Die Ampelkoalition arbeitet zurzeit an der ersten nationalen Sicherheitsstra- tegie, die auch den Umgang mit dem ag- gressiven Regime in Moskau behandeln will. Was sollte unbedingt in dieser stra- tegischen Vorausschau stehen?
Die Einrichtung eines Nationalen Sicher- heitsrates zum Beispiel. Dieses Exekutivor- gan sollte dafür sorgen, dass die deutsche Sicherheitsstrategie auch nachhaltig ver- folgt wird. Wichtig sind für uns außerdem das Bekenntnis zum Zwei-Prozent-Ziel und eine Neuregelung der Rüstungskontrolle. Wir können nicht erwarten, dass die Maxi- malforderungen Deutschlands bei diesem Thema von allen europäischen Partnern übernommen werden.

Das klingt stark nach der alten römi- schen Devise „Si vis pacem para bellum“ – Willst du den Frieden, rüste dich für den Krieg.
Exakt darum geht es. Wir brauchen mehr Geld für die Bündnis- und Landesverteidi- gung und unbedingt auch gemeinsame eu- ropäische Rüstungsprojekte, denn wir müs- sen die europäische Resilienz stärken. Lei- der haben das einige in der Ampelkoaliti- on immer noch nicht verstanden.

 

Das Gespräch führte Johanna Metz. T

Florian Hahn (CSU) sitzt seit 2009 im Deutschen Bundestag und ist dort verteidigungspolitischer Sprecher der CDU/CSU-Fraktion

Aus: Das Parlament Nr. 4 – 23. Januar 2023